04.11.2020

 

Die Referentin des Netzwerkes Gewaltschutz, Rena Sakowski, fordert eine Beratungsstelle für betroffene Frauen und Mädchen auch in Mecklenburg-Vorpommern. Im Netzwerk Gewaltschutz haben sich soziale Einrichtungen zusammengetan, die sich um gewaltbetroffene Geflüchtete in der Region Rostock kümmern.

„Eine Beratungsstelle könnte Anlaufstelle für Betroffene sein und darüber hinaus wichtige Aufklärungsarbeit leisten.“, sagt Rena Sakowski, die das Netzwerk koordiniert. „Da geht es um gesundheitliche Aufklärung und Hilfe genauso wie um Normen im Zusammenleben, um Selbstbestimmung in Bezug auf den eigenen Körper, um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen.“ Dass weibliche Genitalverstümmelung auch in Mecklenburg-Vorpommern ein Thema ist, zeigt u.a. die Dunkelzifferstatistik von Terre des Femmes.

2020 geht die Menschenrechtsorganisation davon aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern 546 betroffene Frauen leben und 175 Mädchen, die von weiblicher Genitalverstümmelung (Female genital mutilation – FGM) bedroht sind. (Quelle: www.frauenrechte.de/images/downloads/fgm/TDF_Dunkelzifferstatistik-2020-mit-Bundeslaender.pdf) Von FGM wird in allen Fällen gesprochen, in denen weibliche Genitalien teilweise oder ganz entfernt und zum Teil auch die Vagina bis auf eine kleine Öffnung zugenäht wurde.

Bisher gibt es in unserem Bundesland keine auf das Thema spezialisierte Beratungsstelle, an die sich Frauen und Mädchen wenden könnten, die Hilfe suchen. Es gibt damit auch keine Beratungsstelle, die Aufklärung in Sachen weiblicher Genitalbeschneidung/ Genitalverstümmelung leisten könnte.

 Als Vorbild sieht Rena Sakowski die Beratungsstelle TABU in Kiel - die sich auf weibliche Genitalverstümmelung spezialisiert hat, umfangreiche Aufklärungsarbeit leistet und Kolleg*innen in der Sozialarbeit weiterbildet. Renate Sticke, Beraterin aus Kiel, teilte ihr Wissen auch mit dem Netzwerk Gewaltschutz.

Maja Meister von der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in Rostock kennt aus ihrer beruflichen Praxis betroffene Frauen. Wichtigstes Signal sei, so die Sozialwissenschaftlerin und systhemische Therapeutin, dass medizinische Hilfe auch für bereits betroffene Frauen möglich ist. Sie wisse aber auch, wie sensibel das Thema behandelt werden müsse. Die betroffenen Frauen leiden meist unter ständigen Schmerzen, Infektionen, Inkontinenz, Traumata, Konzentrationsproblemen, extrem erschwertem Toilettengang, haben Problemen bei Menstruation, Sexualität, beim Gebären. Allerdings bringen sie ihre vielfältigen gesundheitlichen Probleme gar nicht mit ihrer - wie sie selbst sagen – Beschneidung in Verbindung, da sie in der Regel aus Gesellschaften kommen, in denen die Beschneidung von Frauen als normales soziales Ritual gilt. Frauen würden durch die Beschneidung rein, ehrbar und diese sei hygienisch notwendig, heißt es. Weibliche Genitalverstümmelung gibt es weltweit und religionsübergreifend. Sowohl christliche als auch muslimische Frauen und Mädchen werden beschnitten, ohne die Folgen zu kennen. In der Beratung kann der Verdacht auf Genitalbeschneidung aber nur sehr vorsichtig angesprochen werden, da die gesamte Thematik sehr schambesetzt ist. Außerdem haben betroffene Frauen oft sehr vielfältige Probleme, vor allem durch die psychische Belastung infolge des Asylverfahrens, aber auch durch Gewalterfahrungen.

In Deutschland ist weibliche Genitalbeschneidung seit 2013 ein eigener Strafbestand nach § 226a StGB und ist in Artikel 38 der Istanbul-Konvention festgeschrieben. Die Beschneidung Minderjähriger gilt als Kindeswohlgefährdung – und sollte damit durchaus auch Thema für Jugendämter sein. Der Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung ist ein Asylgrund.

Aufbau und Koordinierung des Netzwerkes Gewaltschutz ist ein Projekt von STARK MACHEN e.V., das noch bis Ende 2020 finanziert ist. Ab 2021 wollen die Netzwerk-Partern*innen selbstorganisiert weiterarbeiten.

Zwei Kliniken in Deutschland, das Luisenhospital in Aachen und das Desert Flower Center in Berlin, haben sich auf die chirurgische Rekonstruktion weiblicher Genitalien spezialisiert. Die Operation ermöglicht den Frauen ein schmerzfreies und auch sexuell erfülltes Leben und wird durch die Krankenkassen finanziert.

Es gibt also Wege und Möglichkeiten, betroffenen Frauen und Mädchen zu helfen. „Allein das macht ja schon Hoffnung.“ so Rena Sakowski vom Netzwerk Gewaltschutz. „Aber wir brauchen eben auch die konkreten Ansprechpartner*innen vor Ort, die Betroffenen helfen und Aufklärung bei Ärzt*innen, Therapeut*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen und Sozialarbeiter*innen leisten.“

Der Aufbau und die Koordinierung des Netzwerkes Gewaltschutz ist ein Projekt von STARK MACHEN e.V., das noch bis Ende 2020 finanziert ist. Danach wollen die Netzwerkpartner*innen selbstorganisiert weiterarbeiten.

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