In der Beratung von Sexarbeiter*innen gibt es neben den niedrigschwelligen Angeboten auch Bedarfe zur langfristigen beruflichen Umorientierung.
Seit August 2021 bieten wir deshalb im Rahmen eines dreijährigem Modellprojektes eine spezielle Beratung und Begleitung für Sexarbeiter*innen an, die sich alternativ zur Sexarbeit beruflich orientieren wollen.

 

Das Modellprojekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

 

Das Beratungs- und Unterstützungsangebot ist an Sexarbeiter*innen gerichtet.



In den herkömmlichen Debatten und medialen Diskursen über Sexarbeit und Prostitution werden aus unserer Sicht unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, die sich zum Teil fernab der Realität rund um das Anbieten sexueller Dienstleistungen verorten. Sie zeigen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus einem vielfältigem Spektrum. Der am häufigsten zu nennende Kritikpunkt ist das Sprechen über Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, ohne repräsentativ für alle Diversitäten in diesem breiten Feld sein zu können.

Wenn wir von Sexarbeit reden, meinen wir damit:

...eine höchstpersönliche Dienstleistung, über deren Inhalt und Ausmaß nur die Sexarbeiter*innen selbst entscheiden. Sexarbeit kann selbständig und in einem Arbeitsverhältnis ausgeübt werden. Voraussetzung sind einvernehmliche Verträge zwischen den Beteiligten und die Einhaltung gesetzlicher Mindestvorgaben. Sexarbeit ist jegliche Form von sexueller Dienstleistung. Dazu gehören auch PornodarstellerInnen, TelefonsexanbieterInnen, Internetchatdienstleistungen, Entspannungsmassage usw.

Wenn wir von SexarbeiterInnen reden, meinen wir:

...Frauen, Trans*frauen und Männer die sexuelle Dienstleistungen verkaufen. Der Begriff 'Sexarbeiter*in' bezieht sich auf alle Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, unabhängig von geschlechlicher Identität. Aus diesem Grunde vermeiden wir den Begriff Prostituierte. Mit 'Prostituierte' werden im öffentlichen Diskurs meist nur Frauen assoziiert. Auch wenn in der Sexarbeit am häufigsten Frauen tätig sind, entspricht dies nicht der sozialen Realität dieses Gewerbes, denn es bieten Transmenschen wie auch Männer sexuelle Dienstleistungen an.

 


Seit dem 1.7.2017 ist das neue Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz - ProstSchG) in Kraft.

Mit Inkrafttreten müssen sich alle Sexarbeiter*innen, die ihre Tätigkeit neu aufnehmen bei einer dafür zuständigen Behörde anmelden. Sexarbeiter*innen, die bereits vor dem 1.7.2017 tätig waren, haben Zeit bis zum 31.12.2017. Das Anmeldeverfahren (§ 3-11 ProstSchG) für Sexarbeiter*innen umfasst die Anmeldeberatung und eine Gesundheitsberatung. Beide Beratungen sind verpflichtend und Sexarbeitende müssen persönlich ohne Begleitung daran teilnehmen. Ein telefonisches/elektronisches Verfahren ist nicht möglich.

Die Gesundheitsberatung (§10) muss zuerst stattfinden. Der dafür ausgestellte Beleg ist für die Anmeldeberatung notwendig. Diese muss innerhalb der nächsten drei Monate erfolgen. Die Gesundheitsberatung muss jährlich wiederholt werden (unter 21J. halbjährlich). Die Anmeldeberatung erfolgt alle 2 Jahre (unter 21J. jährlich).

Ab 1.1.2018 werden Sexarbeitende nur noch Arbeitszimmer/Wohnungen mit gültiger Anmeldebescheinigung mieten können, da Betreibende von Prostitutionsstätten die Daten für kontrollierende Behörden vorhalten müssen. Im ProstSchG sind umfassende Neuregelungen für Betriebsstätten formuliert. Alle Betreibende müssen ab sofort eine Erlaubnis beantragen, die ihnen auch versagt werden kann.

§ 32 (ProstSchG) Kondompflicht: Oral-, Vaginal- und Analverkehr sind ab sofort nur mit Kondom erlaubt. Ebenfalls gibt es ein Werbeverbot für Sex ohne Kondom.

In Mecklenburg-Vorpommern wird das gesamte Anmeldeverfahren für Sexarbeitende vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) durchgeführt.

Anmeldeverfahren in MV - Schritt für Schritt

 


Obwohl Sexarbeit in der BRD Teil der gesellschaftlichen Realität ist und gesetzlich legal, sind alle Menschen die in diesem Bereich tätig sind, Stigmatisierungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Sexarbeit ist trotz Legalisierung noch kein anerkannter Beruf. Sexarbeit ist nach wie vor mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung belegt, sodass Menschen, die in diesem Bereich aktiv sind, ihre Tätigkeiten verheimlichen müssen. SexarbeiterInnen und Kunden, die sich outen, werden bewertet und ihnen werden Eigenschaften und Klischees zugeschrieben ohne sie selbst zu Wort kommen zu lassen.

Moralische Vorurteile sowie gesellschaftliche und mediale Diskurse in denen Menschenhandel und sexualisierte Gewalt in einem Satz mit Prostitution genannt werden, lassen keinen differenzierten Blick auf diesen vielfältigen Arbeitsbereich zu und werten die Arbeit, die geleistet wird und die betreffenden Personen ab.

Menschen, die jahrelang als SexarbeiterInnen tätig waren, werden angeeignete Kompetenzen und Professionen, Autonomie und Selbstbestimmung abgesprochen. Das führt dazu, dass es sehr schwierig ist nach jahrelanger Tätigkeit in eine sogenannte "solide" Beschäftigung zu kommen. Ein angestrebter Berufswechsel gestaltet sich schwer, da beim Arbeitsamt sowie bei einer/m potentiellem ArbeitgeberInnen die vergangenen Tätigkeiten und daraus folgenden Kompetenzen ebenfalls negativ bewertet werden.

Diese Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen während und nach Ausübung einer Tätigkeit im sexuellen Dienstleistungsbereich wirkt sich langfristig auch auf das psychische Wohlbefinden aus.

Um langfristig Stigmatisierung und Diskriminierung als Folgen von Tabuisierung zu verhindern, ist es notwendig endlich Licht in alle Tätigkeitsfelder der Sexarbeit zu bringen. Dies gilt für mediale Darstellungen und daraus folgende gesellschaftspolitische Diskurse.

Wissenschaftliche Forschungen zur Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeit und SexarbeiterInnen leisten langfristig einen kleinen Beitrag um dieses Feld genauer zu beleuchten.

https://sexarbeitforschung.wordpress.com/2013/05/19/kampf-um-respekt-eine-ethnografische-studie-uber-sexarbeiterinnen/

 


In Rostock bieten SexarbeiterInnen vorwiegend ihre sexuellen Dienstleistungen für Kunden in ca. 60 sogenannten Modell- bzw. Terminwohnungen an. Da Rostock über keine Sperrgebietsverordnung verfügt, befinden sich diese Wohnungen im gesamten Stadtgebiet in herkömmlichen Wohnvierteln (Stadtmitte, KTV, Östliche Altstadt, Dierkow, Toitenwinkel, Lichtenhagen, Schmarl, Groß Klein). Zudem gibt es ein Laufhaus (Bordell) und einen Nachtclub in der Hansestadt und einen in Warnemünde. An allen genannten Orten bieten vorwiegend Frauen oder Trans*frauen ihre sexuellen Dienstleistungen an. Hinzu kommen unterschiedliche erotische bzw. entspannende Massageangebote in Studios sowie private Anzeigen für Hotelbesuche und andere Terminvereinbarungen in einschlägigen Internetportalen.

Mann/Männliche Sexarbeit wird hauptsächlich in Internetportalen offeriert und erfolgt in Form von Privatterminen in Hotels oder Wohnungen.

Der Escortservice für Frauen als Kundinnen läuft ebenfalls über das Internet und entsprechende Anbahnungsverfahren werden über Escortagenturen abgewickelt, die häufig landes- bzw. bundesweit ihre Sexarbeit verkaufen.

Die meisten SexarbeiterInnen, die in den Modellwohnungen tätig sind, bleiben mit ein paar Ausnahmen nie länger als zwei Wochen an einem Ort, kehren aber regelmäßig wieder zurück um wieder für ein oder zwei Wochen hier zu arbeiten. Die hohe Mobilität von SexarbeiterInnen ist rein geschäftsbedingt, da Kunden i.d.R. wechselnde Besuche bevorzugen.

Das vielfältige Angebot von sexuellen Dientsleistungen in der Hansestadt lässt wenig Spielraum für konkrete Zahlen, wieviele SexarbeiterInnen sich tatsächlich hier aufhalten und in welcher Form sexuelle Dienstleistungen konsumiert werden. Aus diesem Grunde bleiben alle Aussagen lediglich Schätzungen aus der Summe aller Bereiche. Dazu gehören die öffentlich zugänglich offerierten Angebote und die nicht zugänglichen Anbahnungsfelder der Internetportale.

Im Gegensatz zur medialen Verbreitung eines bestimmten Kunden- bzw. Freierklischees, kann gesagt werden, dass die Menschen, die sexuelle Dienstleistungen kaufen genauso vielfältig sind wie die SexarbeiterInnen selbst. Beide kommen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und nutzen die Sexarbeit aus unterschiedlichen Gründen. Auch hier kann kein explizites Bild eines bestimmten Typus gezeichnet werden.

 


Menschen, am häufigsten Männer die Sex kaufen, werden Freier genannt, oder nennen sich auch selbst so. Mitunter gibt es auch die Bezeichnungen Gäste oder Kunden.

Da relativ wenig zu Freiern bekannt ist und auch hier das Feld weitesgehend von unrealistischen Vorstellungen geprägt ist, stellen wir folgend einige Informationen bereit.   

  • Radiobeitrag vom 1. April 2016 zur Freierstudie von Harriet Langanke. Radiobeitrag

  • Der Soziologe Udo Gerheim hat 2012 seine Freierstudie "Die Produktion des Freiers" veröffentlicht."Warum kaufen Männer Sex? Dieser Frage nähert sich Udo Gerheim in einer gelungenen Synthese aus kritischer Wissenschaft und einer konsequent empirischen Analyse. In Anlehnung an Bourdieu zeichnet er die (Macht-)Strukturen des Prostitutionsfeldes nach und analysiert die soziale Praxis und die habituellen Muster der Freier. Auf der Grundlage von 20 Interviews mit Freiern liegt erstmals eine bestechende soziologische Studie zu einem zentralen – aber bislang kaum beachteten – Aspekt der Produktion heterosexueller männlicher Normalität und des Begehrens im Kontext von käuflicher Sexualität vor."
     
  • Sabine Grenz, 2007: "(Un)heimliche Lust. Über den Konsum sexueller Dienstleistungen"

 


"Sexarbeit bzw. Prostitution ist kein Menschenhandel, wie die Definition im Strafgesetzbuch zeigt:

(1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt. (StGB § 232)

Menschenhandel im Bereich der Prostitution wird strafrechtlich definiert als “Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung” (StGB § 232)."

Quelle: menschenhandelheute.net/was-ist-menschenhandel/menschenhandel-prostitution-sexarbeit/